Musikquellen des 19. Jahrhunderts in Deutschland

Wednesday, May 8, 2024

Im vergangenen Herbst haben wir Sie auf ein Symposium aufmerksam gemacht, das anlässlich des 70-jährigen Bestehens der deutschen RISM-Arbeitsgruppe in der Bayerischen Staatsbibliothek in München stattfand. Der Titel - “Musikquellen des 19. Jahrhunderts in Deutschland: Herausforderungen und Chancen” - versprach weniger einen Überblick über die in der Vergangenheit geleistete Erschließungsarbeit als vielmehr das Ausloten von Zukunftsperspektiven, und tatsächlich berührte die Veranstaltung einige Fragen, mit denen sich die deutsche RISM-Arbeitsgruppe auseinandersetzen muss, wenn sie sich für eine mehr oder weniger systematische Erschließung der Quellen des 19. Jahrhunderts entscheidet.

Auf der Website der Gesellschaft für Musikforschung ist kürzlich ein ausführlicher Tagungsbericht von Florence Eller und Viola Herbst erschienen, der allen Interessierten kurze Zusammenfassungen der einzelnen Vorträge bietet. Insofern ist es vielleicht nur sinnvoll, hier einige allgemeine Bemerkungen zu machen, die über den Inhalt der einzelnen Beiträge hinausgehen.

Obwohl RISM in jüngerer Zeit seine Tore geöffnet hat und nun auch Musikhandschriften ohne zeitliche Beschränkung sowie Druckausgaben bis etwa zum Ende des Zweiten Weltkrieges katalogisiert, sind der RISM-Katalog und RISM Online für die breite Nutzerschaft nach wie vor in erster Linie Rechercheinstrumente für Musik vor 1800. Die Wahl dieses Enddatums für die ersten RISM-Serien A/I und B/I-II durch die Gründungsväter mag im Rückblick willkürlich erscheinen, spiegelt aber sicherlich eine sehr pragmatische Überlegung wider, nämlich die Tatsache, dass ab dem 19. Jahrhundert die Menge des überlieferten Quellenmaterials so groß ist, dass eine vollständige Erfassung (die in den frühen Tagen als Idealziel angesehen wurde) unrealistisch erschien. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass einige Referenten des Symposiums gewisse Vereinfachungen des Erschließungsprozesses forderten, um Zeit zu sparen - obwohl die Senkung der Erschließungsstandards für bestimmte Repertoriumstypen bei einer Datenbank, die bereits über 1,5 Millionen nach traditionellen Standards erstellte Quellenbeschreibungen enthält, natürlich erhebliche strukturelle Herausforderungen mit sich bringen dürfte.

Darüber hinaus werden die musikalischen Quellen des 19. Jahrhunderts nicht nur immer zahlreicher, sondern auch immer vielfältiger, und einige Katalogisierer haben verständlicherweise ihr Interesse an der Entwicklung spezifischer Standards und Vokabulare für die verschiedenen Arten von Skizzen, Entwürfen, Hauskopien, Druckexemplaren, kommentierten Probedrucken usw. bekundet. Wenn die RISM-Datenbank die Aufnahme einer so großen Anzahl von Materialien unterstützen und gleichzeitig eine sinnvolle Suche über den gesamten Datenbestand ermöglichen soll, müssen, wie bereits andere bemerkt haben, viele spezifische Details zwangsläufig “abgerundet” werden, und die hochspezialisierte Terminologie des einen oder anderen Forschungsgebietes muss allgemeineren Formulierungen weichen (zumindest in den Beschreibungsfeldern mit standartisiertem Vokabular). Aus redaktioneller Sicht war die interessanteste Lektion des Symposiums, wie die (in ihrem Kontext durchaus berechtigten) Initiativen zur Reduzierung der Erschließungstiefe und der (ebenso verständliche) Wunsch der Spezialisten, in RISM einen angemessenen Ort für all ihre vertieften Erkenntnisse zu finden, uns mit einander ausschließenden Erwartungen konfrontieren. Hier zwischen Skylla und Charybdis zu navigieren, wird nicht einfach sein, aber RISM muss sich dieser Herausforderung stellen, wenn wir unsere Reichweite weiter erhöhen wollen - nicht nur in Bezug auf “Musikquellen des 19. Jahrhunderts in Deutschland”.

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